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Der Guadalquivir als Lebensader

Moment mal, Sevilla liegt doch gar nicht am Meer? – Stimmt. Diese schöne Stadt Andalusiens liegt 80km von der Küste entfernt, ist aber über den Guadalquivir-Fluss mit dem Atlantik verbunden und auch für Segelschiffe schiffbar. Nach der Entdeckung der neuen Welt war Sevilla während 200 Jahren sogar der spanische Handelsknotenpunkt mit dem amerikanischen Kontinent. Da fuhr also manch ein Schifflein den Guadalquivir hoch und runter und auch heute noch wird der Fluss von der Grossschiffahrt genutzt. Für uns Segler bedeutet das einerseits, dass man keine Probleme mit dem Tiefgang hat, so lange man in der betonnten Fahrrinne bleibt. Andrerseits muss man jederzeit damit rechnen, dass ein grosser Brummer um die nächste Kurve biegt.

Grossschiffahrt auf dem Guadalquivir

Der Tidenhub beträgt an der Flussmündung in Chipiona 2,5m (Spring) und oben in Sevilla noch 1,5m. Die Strömung des Flusses kippt somit je nach Gezeit, und bei Flut fliesst das Wasser flussaufwärts. Die Strömung liegt normalerweise bei 2-3kn, daher wird man als Segelschiff immer mit der Strömung fahren, nicht dagegen. Unser Motor macht bei schonendem Betrieb rund 6,5kn Fahrt. Daraus macht der Fluss bis zu 9kn SOG. Die Strecke von der Mündung bis zur Schleuse bei Sevilla ist rund 45sm lang und in einer Gezeit schaffbar. Man kann es aber auch gemütlich nehmen und auf halber Strecke ankern. So wollten wir es machen.

Von Gibraltar nach Sevilla

Es war Ende November 2020 als wir von Alcaidesa (direkt neben Gibraltar) aufbrachen. Die 100sm Anfahrt von Gibraltar bis zur Flussmündung segelten wir in 2 Tagen. Am ersten Tag mit starkem E-Wind rund 70sm von Gibraltar nach Cadiz und den Rest dann am zweiten Tag. Wir ankerten in der Flussmündung vor dem Strand bei Punta Malandar auf 4m Kartentiefe ca. 500m ausserhalb des betonnten Fahrwassers (36°47,662N 006°21,741W).

Ankerplatz bei Flussmündung

Diesen Ankerplatz habe ich von einem anderen Segler empfohlen bekommen. Er ist zwar gegen Westen offen aber bei ruhigem Wetter tip top, weil der Atlantikschwell auf der vorgelagerten Sandbank (La Riza) bricht.

Gleich nach der ersten Flussbiegung ist ein weiterer guter Ankerplatz (36°48,393N 006°20,585W). Hier liegen einige grössere Kähne und dazwischen findet man sicherer Plätzchen.

Ankerplatz hinter der ersten Flussbiegung, guter Schutz aus allen Richtungen

Nach der ersten Nacht vor Anker folgte am Morgen die grosse Überraschung: Nebel!

graues Erwachen

Also sofort auf Nebelmodus umschalten und warten bis sich der Nebel verzogen hat. An eine Flussfahrt ist bei Nebel nicht zu denken. Nebelmodus vor Anker heisst: AIS einschalten, Lichter einschalten, Schallsignale geben (kurz – lang – kurz, eine Glocke hatten wir leider keine an Bord, aber wird demnächst angeschafft), Ausguck sicherstellen. Zum Glück löste sich der Nebel im Verlauf des Vormittags auf und wir konnten mit der Flut den Fluss hochtuckern.

wenig besiedelte Landschaft entlang des Flusses

Ich bin ein grosser Fan solcher Flussfahrten. Das Boot folgt mit wenig Aufwand dem Flusslauf und das Auge, das sonst nur Wasser und Wellen sieht, geniesst die Landschaft, die langsam an einem vorbeizieht. Den Ankerplatz für die Nacht wählten wir nach etwa 2/3 der Strecke bei (37°02,122N 006°07,390W). Hier ist der Fluss recht breit und die Fahrrinne ganz auf der linken Flussseite flussabwärts gesehen. So kann man auf der anderen Flussseite mit genügend Abstand zur Grossschifffahrt in Ruhe ankern.

gemütlich durch die Landschaft tuckern und die Seele baumeln lassen

Da die Strömung alle 6 ¼h kippt, setzten wir beim Bug zwei entgegen gesetzte Anker, einen 30m flussaufwärts und einen 30m flussabwärts. So war das Schiff zwischen den Ankern stabilisiert und wir hatte in beiden Fällen genügend Kette gesteckt.

Auf dem letzten Streckenabschnitt vor Sevilla ist das Flussufer stärker bebaut, man merkt, dass man bald in einer grossen Stadt ist.

Vororte von Sevilla

Vor Sevilla ist eine Flussgabelung. Gegen NE geht es zur Schleuse und Richtung Stadt. Der Club Nautico Sevilla bietet dort wenige Liegeplätze fast im Stadtzentrum. Leider war diese Marina wegen der Corona-Pandemie geschlossen. So blieb uns nur der andere Flussarm Richtung N, der nach Gelves führt, einem Vorort von Sevilla.

Unter Hochspannung

Beim Flussarm Richtung Gelves sorgen zwei Hochspannungsleitungen für Nervenkitzel. Die erste ist in der Seekarte mit 27m Vertikaldistanz angegeben und bildet also keine Gefahr für ein Schifflein wie unseres mit einer Masthöhe von 18m. Das grosse Nervenflattern beginnt erst bei der zweiten Überlandleitung, die in der Seekarte mit einer Höhe von 16,5m angegeben wird. Wie soll das gehen?

bei einer Hochspannungsleitung will man etwas Luft nach oben haben

Klar sind das 16,5m bei HAT und somit immer etwas mehr, aber wieviel mehr? Ich hatte mich vorgängig mit der Marina Gelves in Verbindung gesetzt und die freundliche Chica am Telefon erklärte mir, 18m Masthöhe sei «no problem». Einfach bei Niedrigwasser nahe am Ufer durchfahren. No problem, wiederholte sie. – Nun Ja, no problem…? Und wenn doch? Ich sah vor meinem inneren Auge Bea und mich schon als durchgeschmortes Kohlehäufchen im Cockpit einer im Fluss versinkenden Yacht sitzen. Mir war diese Antwort zu vage um Schiff und Leben zu riskieren. Aber wo würde ich verlässliche Infos erhalten? So ankerten wir 200m vor der Leitungen und warteten das Niedrigwasser ab. In der Zwischenzeit wurde das Dinghi zu Wasser gelassen und ich fuhr den Fluss nach Gelves hoch. Vor dem Hafen ankerten im Fluss einige Yachten. Ich suchte mir die grösste aus (eine Bavaria 50) und befragte den Besitzer nach Masthöhe und bester Durchfahrtsstrategie. Sein Mast war über 20m hoch und auch er bestätigte, dass bei Niedrigwasser in Ufernähe die Höhe der Leitung weit mehr als 20m betrage. So passierten wir kurz darauf bei (37°19,871N 006°01,101W) die Leitung und legten am Flusssteg der Marina Gelves an. Tasächlich no problem. Diese Marina war trotz Corona-Pandemie offen. Am Steg gabs Wasser und Strom.

am Flusssteg der Marina Gelves haben rund 10 Yachten Platz

Sevilla selbst kann von Gelves per Bus erreicht werden und ist eine äusserst sehenswerte Stadt.

auf der Plaza de Espana

vor der Stierkampfarena. War leider wegen der Corona-Pandemie zu.

Sailing on the river

Die Strecke den Fluss hinunter machten wir auf der Rückfahrt in einer Gezeit. Es wehte ein mässiger NW Wind und wir setzten die Segel. Mit Wind und Strom machte die EXTRA MILE bis zu 9kn Fahrt über Grund, manchmal schneller als der Wind. Es war einer der schönsten Segeltage der Saison.

Natürlich muss man auf der Hut sein und ganz genau Kurs halten. Schon bei geringer Kursabweichung, oder sollte das Schiff gar aus dem Ruder laufen, ist man schnell in untiefem Wasser. So erreichten wir am späten Nachmittag den Atlantik und verbrachten eine Nacht in der Marina von Chipiona, bevor wir am nächsten Tag mit günstigen Winden nach Gibraltar zurück segelten.