Die Westküste von Schottland hat sich zu einem meiner Lieblingsreviere entwickelt. Schon zum dritten Mal durfte ich ab Oban einen Törn zu den vorgelagerten Inseln fahren. Diesen Sommer hatten wir ein besonderes Erlebnis bei den Inneren Hebriden, das man sich nicht wirklich wünscht, das aber den Törn unvergesslich macht.
Es war am zweitletzten Tag des Törns, am Donnerstag. Wir kamen von Canna und segelten bei einer gemütlichen 4 am Wind nach Arisaig, als wir östlich der Insel Rum auf dem Meer einen treibenden Fender entdeckten.
Den beschloss ich mitzunehmen, kann man immer gebrauchen. Zuerst haben wir gut geschaut, ob es nicht eine Markierung eines Fischernetzes oder einer Reusse war, was bei den vielen Sandbänken hier durchaus möglich wäre. War es nicht, also wendeten wir, halsten anschliessend und schossen zum treibenden Fender auf. Hatte schon mal vorsichtshalber den Motor eingeschaltet, um die Schiffsgeschwindigkeit bei Bedarf korrigieren zu können. Tatsächlich waren wir etwas zu schnell und so stoppte ich mit der Maschine auf. Retourgang rein, etwas Touren geben, man spürte die Bremswirkung auf dem Schiff und – plötzlich drehte die Maschine wie im Leerlauf.
Irgendwie war mir sofort klar, was los war, die Kraft nach hinten hatte die Schiffsschraube von der Welle gerissen. Neutral einlegen, Vorwärtsgang, das Schiff machte keine Fahrt voran, Neutral, Rückwärtsgang einlegen, die Elan 434 verblieb an Ort.
Sofort schossen mir tausende Gedanken durch den Kopf. Woher kommt der Wind? Wie stark ist er? Wie ist die Wetterprognose für den Tag? Wohin versetzt uns Wind und Strom? Wo ist der nächste Hafen, wo man technische Hilfe erwarten kann? Habe ich hier draussen Empfang auf dem Handy? Wie bringe ich die Yacht rechtzeitig am Freitag nach Oban? Wie bringe ich die Crew rechtzeitig nach Glasgow?
In solchen Situation heisst es, Ruhe bewahren, klar denken und der Crew Sicherheit vermitteln. Ich sagte der Crew: “Leute, wir haben ein Problem und müssen umdisponieren. Wir haben die Schiffsschraube verloren und können den Motor nicht mehr nutzen. Aber wir sind ein Segelschiff, haben guten Wind, sind daher manövrierfähig und setzen jetzt unsere Reise fort. Unterdessen schaue ich, wie wir das Problem lösen.”
Wir brachten die Jacht auf unseren ursprünglichen Kurs, ich übergab das Ruder einem Mitsegler und machte mich mit der elektronischen Seekarte an die Planung. Der nächsten Fluchthafen war Mallaig, unter Segel in knapp 2h auf Halbwindkurs zu erreichen. Das ist ein Fähr- und Fischerhafen und hat eine Marina. Zudem liegt das Städtchen auf dem Festland, die Crew könnte von dort allenfalls mit dem Taxi nach Glasgow gelangen und Ersatzteile wäre dort bestimmt einfacher zu kriegen, als auf einer der Inseln. Der Plan war also nach Mallaig zu segeln, sich in den Hafen schleppen zu lassen und dort eine neue Schraube zu organisieren.
Im Revierführer fand ich die Telefonnummer der Harbour Authorities von Mallaig, rief an und erklärte dem Hafenmeister unsere Situation. Er war verständnisvoll und versicherte mir, dass er einen Schlepp in den Hafen organisieren werde. Das zweite Telefonat war zum Vercharterer. Der nette Schotte namens David, dem das Schiff gehört, war sehr überrascht und konnte die Sache nicht recht glauben. Er brachte dann zwei gute Möglichkeiten aufs Tapet, was es auch noch sein könnte: Das Getriebe? – Nein, das Schiff machte auch Vorwärts keine Fahrt. Der Bowdenzug vom Ganghebel zum Motor? – Auch nicht, die visuelle Kontrolle im Motorraum war deutlich: Der Motor schaltete vorwärts und rückwärts. Da war es auch für David klar, es musste die Schaube sein. David cool wie immer: “Don’t worry, Andy, there’s a spare propeller on the boat.” Wow, eine Schiffsschraube hätte ich im Fach mit den Ersatzteilen nicht erwartet. Nach einiger Suche kamen alle Teilchen zum Vorschein. Eine gebrauchte Schiffsschraube und ein neuer Konus mit Innenschraube, der die Schiffsschaube auf der Welle fixiert. Wir hatten also alles dabei. David riet mir dann auch, gleich telefonisch in Mallaig einen Taucher aufzubieten. Habe ich über den Hafenmeister gemacht. War ein guter Tipp von David.
Spannend wurde es dann vor Mallaig. 1 sm vor dem Hafen bargen wir das Grosssegel und ich hielt das Schiff mit einer gerefften Genua auf einem stabilen Kurs. Fender wurden ausgebracht und die Leinen bereit gelegt. Nach einigen Telefonaten kam dann zu unserer Überraschung ein beachtliches Rettungsschiff der Royal National Lifeboat Institution aus dem Hafen gebraust und nahm Kurs auf uns.
Der Rettungskreuzer kam von achtern längsseits auf Steuerbord und gab Anweisung, die Genua zu bergen. Wir hatten unsere Leinen bereit, aber davon wollten die Jungs der RNLI nichts wissen. Sie reichte uns ihre Leinen rüber. War mir zuerst nicht ganz wohl dabei, hört man doch immer wieder Geschichten, wo horrender Bergelohn gefordert wird, weil die Annahme der fremden Leinen so viel bedeutet, wie, dass man das eigene Schiff aufgegeben hat. Aber dies war schliesslich keine privater Bootsbesitzer, sondern die RNLI. Zudem ist die Logik offensichtlich: Die Besatzung des Rettungsbootes verlässt sich auf ihre eigenes, getestetes Qualitätsmaterial, und nicht auf die Ausrüstung irgendeines Charterschiffes.
So waren wir ruck zuck mit Bug- und Heckleine und zwei Springs längsseits und los ging die Reise. Der Kapitän wies mich an leicht nach Backbord zu steuern und so meinen Bug vom Lifeboat wegzuhalten. Während der Fahrt hatten wir kurz Zeit mit den Jungs zu plaudern. Von den 6 Mann an Bord waren nur der Schiffsführer und ein Techniker bei der RNLI angestellt. Die anderen waren Volontäre auf piket, so wie in der Schweiz bei der Feuerwehr. Bei einem Notfall, legen sie ihre Arbeit nieder und leisten den Einsatz beim Lifeboat. Daher auch der Spruch: “Don’t hurry. Take your time, otherwise we would be at work.”
So gelangten wir mit etwa 5kn Fahrt in den Hafen. Dort brachte uns das Lifeboat backbord längs an ein Fischerboot und weg waren sie. Wir hatten kaum Zeit uns zu bedanken. Wir machten im Päckchen an das Fischerboot fest. Ein älterer Mann half uns mit den Leinen und stellte sich dann gleich vor, er sei der Taucher.
Aha, der war also schon da. Er würde nur rasch sein Boot mit seinen Sachen holen und dann den Schaden begutachten. Als er ankam, erschien auch schon Annabelle, eine neugierige Seehund-Dame, die im Hafen von Mallaig lebt. Sie hat sich unterdessen an die Menschen gewöhnt und die Bewohner haben ihr einen Namen gegeben. Sie schaute interessiert bei den Vorbereitungen zu, aber verschwand sogleich, als der Taucher ins Wasser plumpste.
Insgesamt dauerte die Tauchaktion nur etwa 10 Minuten. Kurz runter um die Welle anzuschauen: Ja, die Schaube ist tatsächlich weg. Dann nochmals runter mit der Ersatzschraube und den Zusatzteilchen und schon war die Ersatzschaube montiert. Da haben wir alle gestaunt. Kaum 15 Minuten nach Ankunft im Hafen waren wir schon wieder seeklar. Die sind speditiv, die Schotten! Wir beschlossen jedoch die Nacht in Mallaig zu bleiben und verlegten das Schiff an einen der Schwimmstege der Marina. Am darauf folgenden Tag beendeten wir den Törn wie geplant in Oban.
Ich machte mich darauf gefasst, dass es ein finanzielles Nachspiel geben würde. Der Vercharterer würde von mir die Kosten für den Schaden fordern und von der Kaution abziehen. Dafür habe ich eine Versicherung und mit der nahm ich gleich mal telefonisch Kontakt auf, damit ich bei der Abgabe der Yacht alle für die Versicherung notwendigen Unterlagen vom Vercharterer kriegen würde. Der gute David wollte von mir aber kein Geld sehen. Es sei ja nicht meine Schuld gewesen und er hätte die Schraube ohnehin im Winter wechseln wollen, es sei ok so. Die Kosten betrugen total rund 500 Pfund (Taucher 200 und neue Schraube 300), diese Kosten übernahm allesamt der Vercharterer.
Der Schlepp in den Hafen durch das Lifeboat war kostenlos. Die RNLI wird durch Spenden finanziert. Wir tätigten daher eine grosszügige Spende aus der Bordkasse und David versprach den Jungs nach Mallaig als Dank eine Flasche Whisky zu schicken. Und ich überreichte David feierlich einen zusätzlichen Fender, den er freudig entgegennahm.
Habe mich im Nachhinein gefragt, ob der Fender die Aktion wert war. Sicher nicht. Aber umgekehrt war ich froh, die Schraube auf dem offenen Meer verloren zu haben und nicht bei einem Manöver in einem Hafen. Das hätte noch eng werden können.