Viele träumen davon, manche setzen es in die Tat um: Eine Auszeit auf dem Meer. Ein Interview mit Roland & Irene, einem Ehepaar, das 4 Monate lang durchs Mittelmeer segelte.
Hallo Roland & Irene, ihr habt ein Time-Out auf dem Meer Wirklichkeit werden lassen. Was waren die Eckdaten dieser Reise: Dauer, Route, Schiff, Personen
Herzlichen Dank für deine Anfrage für das Interview. Gerne teilen wir unsere Erfahrungen mit den Lesern deines Newsletters. Zuerst wollen wir betonen, dass wir uns sehr privilegiert fühlen, ein solches Segel-Sabbatical durchführen zu können. Wir danken insbesondere unseren Arbeitgebern/Chefs, welche diese Auszeit in unkomplizierter Art unterstützt haben.
Als Ausgangspunkt für die 4-monatige Segelreise haben wir die Hafenstadt Genua gewählt. So hatten wir die Gelegenheit, die Vorbereitung in der Stadt zu verbringen, in welcher meine Mutter ihre Jugend verbrachte. Die Vorbereitung hat etwa 9 Monate vor dem Start mit der Wahl der geeigneten Segelyacht begonnen. Obwohl wir eigentlich Monohull-Segler sind – wir besitzen eine Elan 360 auf dem Bodensee – haben wir uns mit der OPEN 40 für einen 40-Fuss-Katamaran von Bavaria/Nautitech entschieden. Ausschlaggebend waren die offensichtlichen Vorteile eines Katamarans: Funktionalität und Komfort. Letzteres ist insbesondere auf längeren Fahrt absolut relevant… wir sind ja mittlerweile auch schon etwas älter und wissen das Quäntchen Mehrkomfort zu schätzen. Die Open 40 mit Namen ELEVEN haben wir als Ausstellungsboot gekauft, inklusive einer vertraglich festgelegten Rückkaufoption zu einem vordefinierten Preis. In den 9 Monaten bis zum Start machten wir uns mit den Eigenheiten der ELEVEN vertraut, rüsteten sie gemäss Schweizer Flaggenschein aus und installierten ein paar Erweiterungen wie Kommunikationsmittel, Radar, Solarzellen und höhere Batteriekapazität. Leider mussten wir auch einen Schaden am Boot reparieren lassen, welchen wir während eines Sturms in Genua eingefangen hatten.
Die Segelreise führte uns durchs westliche Mittelmeer mit Start in Genua über Korsika und Sardinien wieder zurück zum italienischen Festland in den Golf von Neapel, dann zu den Liparischen Inseln, durch die Strasse von Messina bis Santa Maria di Leuca am Stiefelabsatz und schlussendlich über Albanien und Montenegro zu unserem Ziel in Kroatien. Diese Reise haben wir vorwiegend zu zweit durchgeführt. Aber wir durften auch Gäste auf unserer ELEVEN empfangen. Zweimal haben uns Freunde besucht und zweimal begleiteten uns unsere Söhne mit ihren Freundinnen. Der ganze Blog unserer Reise ist nachzulesen auf www.sailingeleven.com.
Was hat euch zu einem Time-Out auf dem Meer bewogen?
Die Idee zum Langfahrtensegeln kam uns, als Segelfreunde vom Bodensee definitiv entschieden, die Leinen für eine Weltumsegelung mit ihrem selbstgebauten Aluminiumboot loszulassen. Als sich dann bei mir nach Abschluss des zweiten Grossprojekts in Reihe die nichtbezogenen Ferien auf 6 Monate aufstauten und sich eine gewisse mentale Müdigkeit bemerkbar machte, haben sich die Pläne für eine Auszeit auch bei uns konkretisiert. Neben dem Wunsch nach „durchlüften“ und „Energie für neue Vorhaben tanken“ wollten wir aber auch herausfinden, ob die Langfahrt für die Zeit nach der Karriere tatsächlich etwas für uns ist. Wir betrachteten die Segelreise als eine Art Testlauf für das Segeln auf dem Meer und wie wir als Paar die verschiedensten Situationen meistern. Wir waren ja bis jetzt vor allem Binnensegler. Wir besitzen zwar den Hochseeschein aber bisher mit wenig Erfahrung auf dem Meer.
Welche Vorzüge eures Schiffs habt ihr genossen?
Wie bereits erwähnt, ist der Komfort eine herausragende Eigenschaft eines jeden Katamarans. Bei uns manifestiert der sich wie folgt:
Neben dem Komfort ist auch die Sicherheit für uns wichtig. Ich will hier nicht eine Sicherheitsdebatte über Ein- versus Mehrrumpfboot vom Zaune brechen, aber die redundante Ausführung des Antriebs hat schon seine Vorteile, wie wir beim Ausfall unserer Motoren bzw. ihrer Starterelektronik am eigenen Leib erfahren durften.
Auch lieben wir das Halbwind- und Raumwindsegeln mit der ELEVEN. Bei diesen Kursen benötigten wir nur wenig Wind, um auf Speed zu kommen. Allerdings haben wir beim Raumwind noch einiges Potenzial nach oben. Ein dafür geeignetes Segel wie Gennaker oder Parasail fiel leider dem Rotstift meines CFO (= meine Frau Irene) zum Opfer. Aufkreuzen gegen Wind und Seegang ist dagegen etwas, worauf wir mit einem Katamaran gerne verzichten können.
Mit Ausnahme des Amwindsegeln genossen wir all diese Aspekt sehr und sie sind auch der Grund, warum wir die gleiche Bootswahl wieder treffen würden. Die ELEVEN ist schon so etwas wie ein Traumboot für uns.
Welche Ausrüstungsgegenstände habt ihr sehr viel gebraucht und was hättet ihr genauso gut zu Hause lassen können?
Regelmässig bis täglich nutzten wir die folgende Ausrüstung:
Zu unserer täglichen Routine zählte die Einschätzung der Wetterentwicklung. Wir nutzten den Deutschen Wetterdienst (https://www.dwd.de/DE/fachnutzer/schifffahrt/seewetter/mittelmeer/_node.html), sowie jeweils lokale Anbieter (wie http://meteo.hr/index_en.php für Kroatien), um einen Überblick über die Wettersituation und die Wetterprognose zu erhalten. Die konkrete Wind- und Seegangsprognosen unter Berücksichtigung von lokalen Gegebenheiten entnahmen wir der App PredictWind. Waren wir dann mal unterwegs und das Gewitterrisiko nahm zu, nutzten wir die Webseite blitzortung.org, um die Gewitteraktivitäten und ihre Zugrichtung zu beobachten.
Rückblickend erscheinen uns einige Ausrüstungsgegenstände als unnötig oder überdimensioniert:
Die eben gemachten Aussagen sind spezifisch für unsere Route auf dem Mittelmeer. Bei Passagen von mehreren Wochen über den Atlantik oder in der Südsee ist die Verwendung von solchen Ausrüstungsgegenständen natürlich anders einzuschätzen.
Was waren die Highlights eurer Reise?
Zu den absoluten Highlights eines jeden Seglers gehören die Begegnungen mit Delphinen. Gleich mehrfach durften wir dies erleben. Es ist faszinierend und bewegend diesen wunderbaren Tieren beim Spiel mit den Bootsrümpfen zuzuschauen.
Beim weiteren Nachdenken entwickelt sich eine schier unendliche Liste von einzelnen, unvergesslichen Momenten:
Speziell herausheben will ich noch das Einlaufen in den Hafen von Bonifacio. Die Einfahrt ist für sich allein schon spektakulär. Wir hatten davor auch noch einem ziemlich ereignisreichen Tag mit zuerst Flaute aber einer Dünnung von 3-4 Metern, seekranken Crewmitgliedern, Involvierung in die Kommunikation von einem Seenotfall und dann auf den letzten Seemeilen Starkwind von 7 Beaufort direkt auf der Nase. Bonifacio ist ein Ort, indem man einmal im Leben gewesen sein muss. Die atemberaubende Kulisse mit den steilen, teilweise von der Brandung unterspülten Kreidefelsen und der darauf thronenden Altstadt ist atemberaubend.
Gab es Tiefpunkte?
Für mich gab es keinen eigentlichen Tiefpunkt, nur eine Situation, welche mir für unseren Sohn Leid tat. Die Woche, in welcher er uns in Süditalien besuchte, verbrachten wir mit warten auf ein Ersatzteil und abwarten, bis eine Schlechtwetterfront über uns hinweggezogen war.
Irene würde diese Frage anders beantworten. Ihr Tiefpunkt war wohl erreicht, als wir uns wehmütig von Italien verabschiedeten, an einem etwas skurrilen Ort in Albanien ankamen, sie beim gemeinsamen Waschen der ELEVEN innerhalb von 5 min von 20 Mücken gestochen wurde und sich darauf unter die Bettdecke verzog. Der Rest unseres Aufenthalts in Albanien war dann aber wieder versöhnlicher.
Gab es Momente, wo ihr den Sinn der Reise hinterfragt habt?
Der Sinn der Reise war für uns nie in Frage gestellt. Basierend auf den gemachten Erfahrungen würden wir vielleicht ein paar Dinge anpassen, zum Bespiel den Endpunkt der Reise offener gestalten, so dass weniger Zeitdruck entsteht.
Vier Monate fürs Durchsegeln des Mittelmeeres hören sich erst einmal komfortabel an. Wenn man aber bedenkt, dass wir 2x aus geschäftlichen Gründen die Reise kurz unterbrechen mussten, auf Ersatzteile warteten, wegen Schlechtwetter in Marinas festsassen, dann relativiert sich dies. Von total 18 Wochen haben wir durch äussere Umstände etwa 6-7 Wochen „verloren“. Auch die Anzahl der Orte, welche wir anlaufen wollten, und die Synchronisation mit der Ankunft unserer Gäste führten nicht notwendigerweise zu einer Entlastung unseres Zeitbudgets. All dies wollen wir nicht missen, muss aber bei der Planung einer solchen Reise einkalkuliert werden. Das haben wir offenbar unterschätzt und hat dazu geführt, dass wir etwas mehr den Motor zur Hilfe nehmen mussten, als uns lieb war und wir etwas weniger Zeit hatten, um bestimmte Orte oder Regionen vertiefter kennen zu lernen.
Jetzt ist das Sabbatical vorbei und ihr steht wieder im Berufsalltag. Wie wirkt das Time-Out in den Alltag nach?
Alles in allem war diese Auszeit für uns eine wundervolle Erfahrung aus welcher wir unser Leben lang viel positive Energie ziehen werden. Es hat uns als Paar Selbstvertrauen geben, dass wir ein solches Abenteuer gemeinsam planen und durchziehen können. Vom Langfahrtensegeln um die Welt haben wir etwas Abstand genommen, dafür hat es uns in unserer Absicht bestärkt, nach unserer Pensionierung zeitweise auf dem Wasser zu leben. Das Mittelmeer mit der reichen Historie und den vielfältigen Kulturen bietet mehr als genug zum Entdecken.
Aus beruflicher Sicht kann man es als Risiko betrachten, dass ich meine Aufgaben auf das Sabbatical hin an Nachfolger abgegeben habe. Ich sah darin aber vor allem eine Chance, neue Energie zu schöpfen und offen für neue Herausforderungen zu werden. Das hat sich bewahrheitet. Im November übernehme ich nun beim gleichen Arbeitgeber für die nächsten 3-4 Jahre ein Engagement in New York.
Besten Dank, Roland & Irene, für das Interview!